Dr. Michael Hägele

Mobile Health (mHealth)

Patienten erstmals im Besitz ihrer eigenen Daten

Definition
mHealth steht für alle Dienstleistungen im Gesundheitswesen, die mobil Daten erheben (Tracker- und/oder Biosensoren) und/oder Dienstleistungen/Apps (Gesundheitsinformationen, Auswertungen, Ratschläge, Hinweise/Warnmeldungen, Gesundheits-Kommunikation) auf mobilen Geräten wie z.B. Smartphones bereitstellen.

Der Boom von Fitness-Trackern (wie z.B. FitBit, Jawbone, Garmin, Polar, Runtastic, LG, Sony) Smartphones/-watches und die rasante Weiterentwicklung von Medizintechnikgeräten (wie z.B. Scanadu, SCANnurse, Zensor, Aezon, Kenkodo, Theranos, Google), zur preiswerten (mobilen) Analyse von Blut, Schweiß, Atem, Stuhl, Urin, usw. oder Nahrungsmitteln (tellspec, scio,) direkt für den Bürger/Verbraucher stellen eine Vielzahl von unaufwändig selbst messbaren Daten bereit.

Diese Tracker können Dank ihrer geringen Größe Bürger und Patienten rund um die Uhr in ihrem Leben begleiten und zeichnen so erstmals ein kontinuierliches und longitudinales Datenbild eines Patienten. Sie können Daten während der Arbeit, bei Freizeit­beschäftigungen (auch im Sport) und sogar im Schlaf messen und erzeugen so ein teils unvollständiges aber digitales Abbild des Patienten 24h am Tag. Diese objektiven Daten können einer IT-Logik und Auswertung zugeführt werden, um daraus Erkenntnisse zu ziehen. Dabei sind nicht unbedingt die absoluten Werte entscheidend, denn dafür wäre eine aufwändige Normung der Daten notwendig. Vielmehr sind es die relativen Schwankungen und die kontinuierliche Betrachtung über die Zeit, die diese Daten so wertvoll machen.

Wie verändern sich die Daten in Ruhe und Belastung, wie über den zeitlichen Verlauf und wie falls gesundheitliche Probleme auftreten? Wie verändern sich individuelle Werte im Vergleich zu relevanten Kohorten. Auch schleichende Veränderungen oder außergewöhnliche Vorkommnisse, die sonst lange unbemerkt bleiben, lassen sich damit gut und zuverlässig erkennen.

mHealth stellt damit in mehrfacher Hinsicht eine Revolution dar:

  1. Bisher erfasste die Medizin (außer vielleicht in der intensivmedizinischen Überwachung)  nur sehr episoden- und bruchstückhaft Krankheitssituationen.
  2. Vergleichsdaten gesunder Individuen standen bislang nicht bzw. nur sehr eingeschränkt als gemittelte Referenzwerte zur Verfügung.
  3. Für die Generierung der Daten ist praktisch kein Fachwissen notwendig und die Erfassung erfolgt weitgehend automatisch
  4. Die erfassten Daten befinden sich im Besitz des Patienten und werden ggf. einem medizinischen Dienstleister zur Verfügung gestellt.

Natürlich wirft diese ungeordnete Datenflut auch neue Probleme auf. Wo sollen all diese Daten gespeichert werden? Wie kann man der Flut überhaupt Herr werden und wertvolle Erkenntnisse aus diesem Meer von Informationen herausfischen? Wie kann man dieses digitale Abbild des Patienten adäquat schützen? Inwiefern sind diese Daten patientenübergreifend vergleichbar?

Ein weiterer aktueller technologischer Trend weckt hier Hoffnungen und Erwartungen: bigData und die Cloud. Reichen die Rechenkapazitäten eines Smartphones zur Analyse der erhobenen oder eingesammelten Daten nicht aus, können die Daten auch in der Cloud auf vernetzten Hochleistungsrechnern z.B. als nicht personenbezogene Daten analysiert werden. Und es sind auch keine statistischen Mittelungen und Näherungen mehr notwendig auf deren Basis Ärzte aufgrund ihrer begrenzten menschlichen „Rechenkapazitäten“ Entscheidungen sprich Diagnosen fällen müssen, sondern es können auf Primärdaten- und Merkmalsebene erheblich individuellere und sicherere Entscheidungen getroffen werden. Denn Statistik funktioniert nur als Wahrscheinlichkeiten für eine größere Menge von Individuen, aber nicht als Vorhersagewert für eine einzelne Person.

Auch medizinische Erkenntnisse könnten schneller ihren Weg in die Praxis finden oder aus den Tiefen der Daten als Schätze gehoben werden. Hierzu könnten vergleichbare Patientendatenprofile gebildet werden und analysiert werden, wie Eingriffe (Medikamente, Therapien, Maßnahmen) gewirkt haben.

Die größte Verschiebung bei mHealth stellt aber die Datenhoheit dar. Der Patient gelangt damit plötzlich in den Besitz seiner Daten und stellt Sie einem Dienstleister seiner Wahl oder auch Apps mit „künstlicher Intelligenz“ zur Verfügung. Prospektiv stellt mHealth das Potenzial dar, die  vielen kleinen verteilten Datensilos der Player im Gesundheitswesen (Ärzte, Krankenhäuser, Therapeuten)  aufzubrechen, die lokalen Wissenshoheitsgebiete zu sprengen und alle Daten zu einem umfassenden ganzheitlichen Bild zusammenzufassen

Damit kann der Patient bei Unzufriedenheit den Arzt/Dienstleister wechseln (ohne die beim Dienstleister von ihm erhobenen Daten zu verlieren und wieder bei Null anfangen zu müssen) oder bei Fehlern reagieren, denn plötzlich hätte ein Arzt für eine „Second Opinion“ den gleichen Datenumfang zur Verfügung wie der „Erstarzt“. Sofern die Daten auch noch in der Cloud zur Verfügung stehen wird auch eine zeit- und Ortsunabhängigkeit möglich.

Es entstehen aber auch praktische Probleme, denn zum eigenen Nutzen ist der Patient nun an der Richtigkeit, der Vollständigkeit und der Unversehrtheit seiner Daten interessiert.
Und wird der Patient damit auch zur vollständigen Transparenz seiner Gesundheitsdaten gegenüber seinem Arbeitgeber, der Krankenkasse oder der Politik verpflichtbar, jetzt wo alles in seinem Besitz ist und damit nur noch einen Kopfdruck entfernt?

Fragen, die nicht von Technologieunternehmen gelöst werden können und auch nicht von einzelnen Patienten, sondern die gesellschaftlich diskutiert werden müssen.

 

Im Zusammenhang mit mHealth fallen häufig andere Schlagworte, hier ihre Definitionen:

E-Health: Das Nutzen von Informations- und Kommunikations-Technologie (ICT) für GesundheitInsofern stellt eHealth einen Oberbegriff zu mHealth dar.

Quantified Self: Regelmäßiges Messen und Dokumentieren von Vitalitätswerten und Aktivitäten im Alltag zum Zwecke der Verbesserung des körperlichen und emotionalen Wohlbefindens.

Big Data: Komplex der Technologien, die zum Sammeln und Auswerten „großer“, meist unstrukturierter Datenmengen verwendet werden.

ePHR: electronic Personal Health Record (Persönliche Gesundheitsakte): Eine im Besitz des Patienten befindliche umfassende elektronische Akte, in der medizinische Daten und Gesundheitsdaten aggregiert werden. Die Daten können von Geräten kommen (Biosensoren, Körpertracker), von medizinischen Dienstleistern wie Ärzte, Pflege, Reha, Labor oder von Wellness-/Fitnessdienstleistern. Sie umfassen Anamnese/Krankengeschichte, Behandlungsdaten, Medikamente, Ergebnisse bildgebender Verfahren (Röntgen, Ultraschall, CT, MRT, EKG,…), Diagnosen, aber auch krankengymnastische/ergotherapeutische Übungen.

^ top